Schülerinnen und Lehrerinnen des Ausbildungszentrums des Klinikums Nordstadt haben diese kleine Sonderausstellung auf die Beine gestellt. Noch bis zum 3. Juli 2011 ist/war sie im Historischen Museum Hannover zu sehen.
Im Eingangsbereich wird dem Besucher zunächst veranschaulicht, wie eine Geburt physiologisch abläuft. Man kann sich neben großen Fotos vom Schwangerenbauch und einer Wassergeburt moderne und antike Geburtsstühle ansehen und lesen, daß eine aufrechte Position und damit die Schwerkraft die Geburt unterstützt und vereinfacht. Aufrechte Geburtspositionen waren ohnehin aus diesem Grunde seit jeher und quer durch die Kulturen bewährt, das Gebären in Rückenlage hielt erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts und mit dem Aufkommen von Geburtskliniken Einzug. Dort nämlich ist es ein Zugeständnis an den Arzt und dessen bequemere Arbeitshaltung.
Ein Abriss über die historische Entwicklung der Geburtshilfe in Hannover zeigt, daß bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts das Kindbettfieber (Sepsis nach Infektion) eine hohe Sterblichkeit der Mütter zur Folge hatte. Somit war es für Frauen in diesen Zeiten weitaus sicherer, zu Hause zu entbinden als in die ersten “Accouchiranstalten” („accouchir“, frz. = entbinden) zu gehen. Diese waren zudem anfangs mittellosen Frauen vorbehalten, die dort gratis versorgt wurden, dafür allerdings auch manches Mal als Studienobjekt und zur Erprobung neuer Techniken herhalten mußten. Die mangelnde Hygiene dort und das Unwissen der Ärzte um die Wichtigkeit der Desinfektion brachte die hohe Rate an postnatalen Komplikationen mit sich. Die Ausstellung zeigt z.B. anhand von Aufzeichnungen aus Geburtsbüchern die teils tragischen Geburtsverläufe. Sobald medizinische Eingriffe nötig waren, hatte das in der Regel dramatische Auswirkungen für Mutter und Kind.
Mit Kenntnis der Zusammenhänge zwischen Aseptis (Keimfreiheit) und Infektionen nach der Geburt kommt die Wende in der Geburtsmedizin. Das Risiko medizinischer Eingriffe sinkt und immer mehr Frauen gehen in die Geburtskliniken. Ausübung und Ausbildung der Geburtshilfe werden in der folgenden Entwicklung stark von den Ärzten dominiert.
Das wird auch gut in einem der 3 Interviews verdeutlicht, die sich Interessierte an einem Terminal ansehen können.
Es wird ein Gespräch mit Barbara Magdon gezeigt, Kinderkrankenschwester und Hebamme von 1967 bis 1990. 2400 Geburten hat sie in hannoverschen Kliniken miterlebt. Sie schildert, daß anfangs nur das Hörrohr und die eigenen Sinne zur Untersuchung und Betreuung der Frauen zur Verfügung standen.
Es waren damals keine weiteren Personen im Kreißsaal zugelassen, weshalb sie die Wichtigkeit der persönlichen Betreuung und Motivation der Frauen durch die Hebamme hervorhebt. Sie habe die Frauen “reden lassen” und sich so auf die individuellen Bedürfnisse einstellen können. So bedürften manche Frauen eher “mütterlicher Zuwendung”, andere “klarer Anweisungen”. Seufzend antwortet Frau Magdon auf die Frage, welche Geburtspositionen sie denn erlernt habe, nur eine: während die Frau die Wehen meist in Seitenlage durchlebt hat, passierten Austreibungsphase und Geburt stets in Rückenlage. Das Baby wurde der Frau zunächst in den Arm gelegt, dann aber versorgt und in “Sichtweite” der Mutter neben das Bett gestellt. Die Mutter wurde währenddessen gewaschen und dann auf die Wochenstation verlegt. Das Kind kam unterdessen auf die Kinderstation… Am 8. Tag schließlich wurden Mutter und Kind “gut erholt entlassen”.
Die Ausbildung der Hebammen sei damals klar auf die Arbeit in der Klinik ausgelegt gewesen. Ihrer Erinnerung nach hatte entsprechend niemand ihrer Kolleginnen damals Interesse an außerklinischer Geburtshilfe. Eher stand Sorge und sogar Angst der Hebammen im Vordergrund, “raus zu gehen”, weil im klinischen Alltag auch viele problematisch verlaufene Geburten erlebt wurden. Ambulante Geburten gab es in den 60er und 70er Jahren kaum: “die Frauen wollten nicht draussen entbunden werden, sondern in der Klinik. Das war so. Ende”.
Ein weiteres Interview wurde mit Elfriede Flettermann, einer niederländischen Hebamme, geführt. Sie kann auf 25 Jahre Erfahrung in der häuslichen Geburtshilfe zurückblicken (in den Niederlanden kommen etwa 30% der Kinder zu Hause zur Welt). Ihre Grundeinstellung und Überzeugung ist “Frauen können Kinder kriegen”. Schon ihre eigene Mutter schilderte ihre Geburt als ein schönes Ereignis. So hat sich das Grundwissen und Grundvertrauen in die Kompetenz der Frauen geprägt. Auch Frau Flettermann beschreibt, daß früher nur Hörrohr und die eigenen Sinne zur Verfügung standen.
Befragt zu ihrer Einstellung angesichts der heute fortgeschrittenen Medizintechnik rät sie zum Abwägen. PDAs beispielsweise können zwar einerseits den Schmerz der Frau abstellen, andererseits verlagert sich der Schmerz weiter zum Kind, denn die Frau ist eher passiv, arbeitet nicht mehr aktiv mit, weil sie die Geburt gar nicht mehr richtig miterlebt und wahrnimmt. Die Dauer der Geburt kann so ansteigen und das Kind mehr belasten.
Die Hausgeburtshebamme betont die Einheit der Betreuung in psychischer und physischer Hinsicht. Die Frau wird von Anfang an in ihrem Selbstvertrauen und Glauben auf ihre Fähigkeiten gestärkt. “Wir brauchen starke Frauen, dann haben wir starke Kinder”, lautet dann auch ihr von Backstage-Applaus begleitetes Abschlußstatement.
Schließlich wird Angela Becker befragt. Nachdem sie lange für die Ausbildung der Hebammen in der Landesfrauenklinik zuständig war, ist sie seit 2006 leitende Kreißsaalhebamme im Nordstadt-Krankenhaus.
Die Ausbildung der Schülerinnen läuft über die Begleitung der Geburten im ersten Ausbildungsjahr bis hin zu weitgehend selbstständig betreuten Geburten im 3. Jahr. Trotz aller verfügbarer Medizintechnik betont Frau Becker, daß immernoch auch der Umgang mit Hörrohr und die Schulung der eignenen Sinne als wichtig und sinnvoll erachtet wird. Technik könne auch mal ausfallen oder in Entwicklungsländern z.B. gar nicht vorhanden sein. Im Nordstadt KH seien alle möglichen Geburtspositionen denkbar (“außer Kopfstand”) – wenn die Frau dazu bereit sei und sich motivieren läßt. Bei der Ausbildung stehe die physiologische, interventionsarme Geburt im Mittelpunkt. Auch pathologische Verläufe würden natürlich gelehrt, das Normale mit all seinen Abweichungen sei aber immer die Basis.
In der Ausstellung wird außerdem auf Fotofolgen der Kaiserschnitt gezeigt und man erfährt, daß zurzeit etwa 30% der Babys in Deutschland so zur Welt kommen. Eine offensichtlich ziemlich blutige und brutale Operation, die auch nach wie vor zu den “großen Bauch-OPs” zählt.
An einer Infowand werden Heilkräuter der Geburtsmedizin zum Be-Riechen und Befühlen gezeigt und deren Anwendung erläutert – das klassische Wissen der Hebammen.
Im Flyer der Ausstellung steht:
“Die Hebammenschülerinnen greifen aktuelle Fragen auf, die für eine zeitgemäße Geburtshilfe von Bedeutung sind:
– Welche Relevanz haben traditionelle Entbindungen und Gebärhaltungen für die Geburtshilfe heute?
– Wie wirkt sich der medizinisch- technische Fortschritt auf die Geburtshilfe aus?
– Welcher Hilfsmittel und Begleitung bedarf die gebärende Frau?
– In welchem Verhältnis stehen originäre Hebammenkunst und moderne Geburtsmedizin?
Die Ausstellung regt zum Nachdenken über das „Naturereignis Geburt“ an und lädt zu einem Blick in dessen Geschichte ein. “
Für unbedarfte Besucher dürften die Antworten auf diese Fragen nach dem Besuch der Ausstellung vermutlich weitgehend im Dunkeln bleiben. Angesichts der Fotos, Zeitdokumente und medizinischen Details dürfte eher das mulmige Gefühl bleiben “die Geburt ist keine leichte Sache – gut daß es die fortschrittliche Geburtsmedizin gibt”. Was ja durchaus nicht falsch ist, aber den Kern nicht trifft. Ein bischen deutlichere Systemkritik hätte der am Ende der doch sehr kleinen Ausstellung gutgetan, was aber natürlich aus der Position von Schülerinnen an einem Krankenhaus schwierig ist. So liegen nicht nur am Eingang Prospekte eines Herstellers moderner Geburtsstühle, sondern am Ausgang auch Flyer der Geburtsklinik Nordstadt KH. Schwangere sind natürlich herzlich eingeladen, dort zu entbinden 😉
Wer die Ausstellung noch besuchen und in dem Zuge nicht gleich einen Museumsrundgang machen möchte, dem sei dafür der eintrittsfreie Freitag empfohlen.
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